Die Mutter eines knapp 8jährigen Jungen erzählt folgendes über ihren Sohn:
Der Junge konnte in seinem ganzen Leben noch nie alleine einschlafen. Das war der Familie bisher nicht aufgefallen, denn es gibt ein jüngeres Geschwisterkind und beide Kinder werden abends gemeinsam zu Bett gebracht und Mama/Papa/Oma/Babysitter sind bei ihnen, bis sie schlafen.
Fast jede Nacht kommt der Große irgendwann nach Mitternacht zu den Eltern ins Bett.
Seit einigen Monaten fällt nun aber auf, dass er schon kurz nach dem Einschlafen – wenn der jeweilige Erwachsene das Zimmer verlassen hat – wieder aufwacht und dann bitterlich weint, wenn er alleine ist; richtiggehend verzweifelt und manchmal fast in Panik.
Auf Nachfrage sagt er, er hat Angst vor Gespenstern und vor der Dunkelheit. In der Dunkelheit sind da zwei Gespenster, weiß, durchsichtig und groß. Die tun ihm nichts, aber er hat Angst.
Parallel dazu fällt der Mutter auf, dass es dem Älteren unglaublich schwer fällt, mit seinem jüngeren Bruder Spielsachen zu tauschen, zu teilen oder gemeinsam zu spielen.
Für sie geht das über „die üblichen“ Streitereien zwischen Geschwistern hinaus.
In der Praxis passiert schließlich folgendes:
Die Mutter ist mit beiden Kindern da.
Der Jüngere findet sich sofort ein Spielzeug. Der Ältere war noch auf der Toilette und kommt etwas später dazu. Als er den kleinen Bruder mit den offensichtlich auch für ihn attraktiven Spielsachen sieht, unternimmt er einen halbherzigen Versuch, mitspielen zu können oder die Sachen für sich zu beanspruchen, und beginnt bitterlich zu weinen, als er abgewiesen wird.
Ich kenne die Familie und die Vorgeschichte bereits.
Seit langem steht im Raum, dass der Junge sehr früh einen Zwilling verloren haben könnte.
Die von der Mutter berichtete Eifersucht bzgl. Spielzeug bringt mich auf die Idee, dass es hier pränatal eine existenziell bedrohliche Konkurrenzsituation gegeben haben könnte.
Nahezu komplett ohne Worte kommt diese Intervention für den knapp 8jährigen aus:
Zwei Stofftiere sitzen auf der Lehne eines Stuhles „im Himmel“. Sie sitzen und warten und schauen und schließlich machen sie sich gemeinsam auf den Weg (die Seele auf dem Weg zur Erde). Die Landung ist hart und etwas holprig (Eisprung), aber sie sind noch immer gemeinsam unterwegs. Der Weg ist anstrengend, sie werden beide müde und immer schwächer (auf dem Weg in Gebärmutter müssen die Blastozysten (befruchtete Eizellen) mit ihren Vorräten auskommen). Schließlich finden sie – bei der Mutter des Jungen - einen guten Platz zum Rasten, zum Bleiben, zum Essen (Einnistung). Zuerst essen/trinken beide abwechselnd an einer Stelle, aber bald wird daraus ein Konkurrenzkampf, wer zuerst und öfter darf und mehr bekommt.
Der Junge verfolgt diese Vorstellung sehr aufmerksam. Als die beiden Stofftiere zu streiten beginnen, greift er ein. Er streichelt beide, weist ihnen beiden einen Platz zu wo sie essen können. Ich sage nur einen Satz „Da war noch jemand“. Da nimmt er Junge beide Tiere zu sich an die Brust und beginnt bitterlich zu weinen.
Die Mutter hält ihren Jungen im Arm, der weinende Junge die beiden Stofftiere.
Die Mutter begreift, was hier passiert sein könnte und beginnt ebenfalls zu weinen.
„Da war nicht genug für beide“ sagt sie. „Es tut mir so leid, das wusste ich nicht. Mein armer Bub, so kämpfen hast du müssen“.
Mit jedem Satz seiner Mutter weint der Junge heftiger, wie zur Bestätigung dessen, was hier gerade gesehen und bestätigt wird.
Nach einiger Zeit wird der Junge wieder ruhiger, erschöpft liegt er in den Armen seiner Mutter.
„Und als du es dann endlich geschafft hattest, war er weg“, sage ich und greife vorsichtig nach einem der beiden Stofftiere.
Wie ein verletztes und wütendes Tier heult der Junge auf, reißt mir das Stofftier wieder aus der Hand, presst es verzweifelt an seine Brust und krümmt sich mit seinem ganzen Körper drum herum.
Die Mutter schaut mich entgeistert an „Genau diese Energie hat er, wenn sein kleiner Bruder sein Spielzeug nehmen will“.
Ich weise die Mutter an, ihrem Jungen zu bestätigen, dass genug für alle da ist.
„Wir haben genug für euch beide.“
„Damals hast du kämpfen müssen. Da war nicht genug da. Und du wolltest so gerne hier sein.“
„Du musstest dir alles nehmen, um hier sein zu können.“
„Und dann warst du alleine.“
Mit jedem dieser Sätze läuft eine Welle des Weinens durch den Jungen.
Schließlich wird er ruhiger und irgendwann steht er vom Schoß der Mutter auf und beginnt alle Stofftiere sorgfältig zusammen zu kuscheln und deckt sie zu.
Ich biete ihm an, „seine beiden“ bis zum nächsten Termin mitnehmen zu dürfen, aber er lehnt ab „Nein, die haben es gut hier“.
Einige Tage später schreibt die Mutter:
Er kann nach wie vor nicht alleine (ein)schlafen, aber jetzt werde ich nicht mehr grantig, sondern kann ihn verstehen.
Ab und an müssen wir zusammen weinen.
Ich begreife jetzt erst, dass ja nicht nur er ein Geschwisterchen verloren hat, sondern ich auch ein Baby.
Mir blutet das Herz, wenn ich dran denke, was er erlebt hat, ohne dass es bis jetzt jemals irgendwer gesehen oder verstanden hätte.
Kein Wunder, dass er immer super grantig war, wenn er sich unverstanden gefühlt hat…